13. August 1984 bis 31. Januar 1986
Fachschule für Heilpädagogik
Am Großen Dern 10, 40625 Düsseldorf
Am Ende dieser von mir erfolgreich teilgenommenen heilpädagogischen Zusatzausbildung darf ich mich von nun an
"Staatlich anerkannter Heilpädagoge"
nennen.
Für alle die sich für meine Abschluß-Facharbeit interessieren,
"Meine Sinngebung des Lebens"
habe ich diese zum Lesen ans Ende dieses Abschnitts gestellt.
Facharbeit
Theologisch - anthropologische Grundlagen
(Dr. Schwarz)
Fachschule für Heilpädagogik
Am Großen Dern 10, 40625 Düsseldorf
H5 1985
Meine Sinngebung des Lebens
Wenn ich mir die Frage nach dem Sinn des Lebens stelle, um für diese „Schwarz - Arbeit„ zu schreiben, dann kreisen meine Gedanken immer um meine jetzige Lebenssituation. Um den Augenblick, in dem ich mich im Moment befinde. Und ich finde, dass es gut und richtig ist, wie ich im Moment lebe und bin. Wenn meine Gedanken dann nach hinten in die Vergangenheit abschweifen, finde ich viele Erklärungen im großen globalen Zusammenhang meines Lebens, welche ich im Augenblick des tatsächlichen Seins nicht zu klären wusste. Ich bin dann immer den Weg gegangen, der sich mir direkt auftat, auch wenn ich nicht wusste, was kommen wird. So sind es auch die Gefühle, die mir in den jeweiligen Situationen genau zeigen und sagen, was los ist und womit es weitergehen soll.
Diese Lebenserfahrung begann zum Zeitpunkt der Trennung von meiner Frau Sabine. Man kann es psychologisch zwar als Verdrängung unangenehmer Gefühle bezeichnen, aber mir war an dem Abend, als sie mir sagte, dass es mit unserer Beziehung zu Ende sei, - es brodelte in unserer Ehe bereits 1 ½ Jahre - da sie eine Beziehung zu einem anderen Mann habe, nicht danach zumute traurig und enttäuscht zu sein, sondern im Gegenteil. Es war ein Gefühl der Heiterkeit und der Freude in mir. Irgend etwas sagte mir, dass es so richtig ist, dass es so sein muss und dass jetzt etwas Neues in meinem Leben passieren wird. Von diesem Zeitpunkt an sah ich, wie sich vor mir die Wege öffneten und ich den Weg nur entlang zu gehen brauchte, ohne Zweifel zu haben, dass ich in eine falsche Richtung gehe.
Zur damaligen Zeit lebten wir auf einem Bauernhof am Rande von Coburg, und für mich war klar, dass ich eine eigene Wohnung für mich brauchte. Zum selben Zeitpunkt machte ich in Coburg die Bekanntschaft mit Klaus, einem Physiker, der bei sich zu Hause sehr viel mit Elektronik bastelte. Ich selber, zu dem Zeitpunkt ein eifriger Elektronikbastler, hatte sehr schnell einen freundschaftlichen Kontakt mit ihm, da er in meinem Alter war und ich mich auch sonst recht gut mit ihm verstand. Ein paar Tage später erfuhr ich von ihm, das sein Bekannter demnächst mit seiner Freundin in ein Haus zieht und dieser für seine Wohnung einen Nachmieter sucht. Vierzehn Tage nach diesem Gespräch konnte ich schon in diese Wohnung ziehen. Ich hatte zwar während der Zeit, in der ich mir Gedanken über eine eventuelle Wohnung machte, immer wieder versucht, etwas Konkretes zu unternehmen, habe mich also immer nur gedanklich damit auseinandergesetzt, aber nichts unternommen. Im Laufe der Zeit wurde mir klar, warum das alles so sein muss. Mir wurde bewusst, was die Kraft des positiven Denkens alles bewirkt. Denn alles, was und wie ich denke geht in mein Unterbewusstsein, ob positiv oder negativ; alles bleibt im Unterbewusstsein verankert, wenn es nur oft genug bestätigt wird. Und dieses Unterbewusstsein steuert mich tagtäglich in jeder Minute meines Lebens. Wenn ich also dem Unterbewusstsein ständig sage: "Ich kann das nicht" oder "Ich habe Angst davor, das und das zu tun" werde ich mein Unterbewusstsein so programmieren, dass es meine Gedanken auch ausführt. Und so werde ich dann auch Angst haben vor den Aufgaben, die auf mich zukommen, oder ich werde sie nicht ausführen können, da ich meinem Unterbewusstsein den Befehl gegeben habe "Ich kann das nicht". Wenn ich dagegen positiv Denke, wird sich im Laufe der Zeit dieses positive Denken verselbständigen, und ich brauche mich nicht einmal anzustrengen, um so zu denken. Ich sehe dann alles von einer positiven Seite. So wird mir dann vieles klarer, wenn ich es positiv betrachte. Es kommen dann auch keine Zweifel auf, ob etwas klappen wird oder nicht. Ich bin mir dann sicher, dass es so sein wird, wie es richtig ist, denn im Ursprung ist alles gut. Und damit komme ich auf die Frage nach Gott.
Kernaussage und Angelpunkt für mich in dieser Frage nach Gott steht in der Bibel und zwar im Evangelium des Johannes 1. Kap. 1 ff:
"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen".
Wenn ich mir nun dieses "Wort", was im Anfang war, versuche bildlich vorzustellen, dann komme ich zu dem Schluss, dass das ja kein ausgesprochenes Wort sein kann, sondern ein „Gedanke„. Ein erster und allein dastehender Gedanke. Wenn ich nun den Begriff "Wort" aus dem ersten Satz durch den Begriff „Gedanke„ ersetze, wird dieser Satz etwas verständlicher. "Im Anfang war der Gedanke, und der Gedanke war bei Gott, und Gott war der Gedanke". Im weiteren heißt es dann: "Dasselbe war im Anfang bei Gott", so bedeutet das für mich, das Gott aus diesem ersten Gedanken heraus erstanden ist und das Gott "Denken" ist. Ein Zustand, den wir uns in unserer nur dreidimensionalen Welt als „Zustand„ nur sehr schwer vorstellen können. Aber nur, wenn wir versuchen, uns aus unserem "normalen" Denkschema herauszulösen, können wir eventuell begreifen, daß "Denken" sich materialisieren kann. Nur ein so gewaltiges "Denken" schafft es, ein Universum mit Planeten und auch ein Atom zu produzieren, die sich im Aufbau und Kräfteverhältnis gleichen wie ein Ei dem anderen. Geringste Abweichungen in der Kräftestruktur würde alles zu Staub zerfallen lassen.
Auf mich bezogen heißt diese Erkenntnis, dass ich ein materialisierter Gedanke von Gott bin und alles, was um mich herum existiert, ebenfalls nur deswegen da ist, weil es im Ursprung von Gott gedacht ist. Anders ausgedrückt: "Ich bin ein Teil von Gott". Meister Eckhart, Dominikaner - Magister - Philosoph, 1260 - 1327, drückte es mit den Worten "Gott und ich, wir sind eins" aus.
Von diesem Standpunkt aus erklärt sich dann auch der Sinn meines Lebens. Ich als ein Teil Gottes, ein Gedanke von ihm, bin hier auf der Erde als materialisierter Gedanke, um diesen seinen Gedanken in dieser Realität in Hier und Jetzt auszuführen. Was ich aber noch kann, und das hat Gott mir auch gegeben, ich kann das annehmen oder aber auch nicht. Ich habe als einziges Wesen und Gebilde hier auf der Erde von Gott auch einen Geist bekommen, mit dem ich selber entscheiden kann. Denn dieser Gott wäre kein guter Gott, würde er uns zwingen, das zu tun, was er will. Um diesen Gedanken auszuführen zu können, muss ich zu aller erst einmal lernen zu leben, und das von Zeugungsbeginn an. Lernen sehe ich als die Grundaufgabe des Menschseins an.
Wenn wir die Evolution des Menschen ansehen, ist auch das ein Lernen von Anfang an. So macht auch der Mensch, nachdem er aus der Verschmelzung von Eizelle und Samen zur Existenz wurde, die Evolution vom Einzeller bis zum fertigen Menschen der jetzigen Generation mit. Der Gedanke Gottes, der den Menschen von seiner Zeugung bis zu seinem Tode begleitet, kann auch als Seele angesehen werden. Die Seele des Menschen ist gleichbedeutend dem Gedanken Gottes. Diese Seele, auch Gedanke Gottes, begleitet den Menschen aber nicht nur während seiner Existenz im momentanen Sein, sondern sie ist schon vorher da, und wird nach seinem Tode immer noch existieren. Der Mensch ist also die momentane Inkarnation seiner Seele, mit dem Auftrag, den Gedanken Gottes zu erfüllen.
Das bedeutet das alles letzten Endes für meine Arbeit mit Geistigbehinderten ? Eine Antwort darauf fand ich, um damit meine Arbeit abzuschließen, im nachfolgenden Artikel, der in verkürzter Form einige wesentliche Gedanken verschiedener Autoren wie Jaspers, Bleidick, Fröhlich u. a. darstellt.
Hinweise für ein Leben vor dem Tode
Hinweise auf ein Leben vor dem Tode zu geben, ist trotz mancher Anzeichen keine leichte Sache. Noch schwieriger wird es, wenn wir uns den Ort und die Menschen vergegenwärtigen, deren Anliegen wir hier vertreten wollen. Fremd ist uns der mehrfachbehinderte Mensch, dessen Sosein uns fremd anmutet, dessen Erscheinen uns oft ängstigt, mit dem wir unsere gewohnte Kommunikation nicht aufnehmen können, der versagt, wenn es das von uns Erwartete leisten soll, der keine Arbeit verrichtet, und dessen Geist begrenzt ist oder uns verschlossen bleibt.
Die Vernunft noch vor dem Fremdesten und vor dem Versagen geduldig und unablässig wach zu erhalten, bezeichnet Jaspers als das Wesen der Philosophie. Diese Vernunft führt uns in der Begegnung mit dem schwer Geistigbehinderten zunächst an unsere eigene Grenze. Unsere gewohnten Mittel, derer wir uns bedienen, versagen. Dies ist das Merkmal einer Grenzsituation, die immer bleibt, was sie ist: "Ich muss sterben, ich muss leiden, ich muss kämpfen, ich bin dem Zufall unterworfen". Es heißt also in unserer Situation, sich mit den Grenzen dessen, was wir verstehen, auseinandersetzen, Leid und Angst als menschlich zu akzeptieren - und zwar nicht nur da, wo wir helfen und etwas ändern können, sondern da, und damit auch hier, wo wir nicht können. Im Scheitern des Menschen und im Versagen der Natur finden wir unsere Aufgabe und nicht in der Verschleierung und der Ausklammerung. Woher nehmen wir aber den Mut zum Leben angesichts der Häufung von Gebrechen? Wer Mut hat, der muss ja irgendwo die Möglichkeit zur Bewältigung seiner Lebenssituation sehen. Mut ist nur da möglich, wo der Mensch den Sinn seiner Existenz erlebt, wo die Gesellschaft einen sinnvollen Platz anzubieten hat, und wo ihre Normen dem Behinderten nicht zum Verhängnis werden.
Das subjektive Erleben von Sinn ist auch beim geistig schwer Behinderten möglich. Es ergibt sich durch die Vermittlung des Gefühls, als Person ernst genommen zu werden und nicht Objekt der Hilfeleistung zu sein. Nicht allein zu sein und die Gegenwart um ihrer selbst zu erfüllen; ist der Sinn unserer pädagogischen Bemühungen. In der Annahme des Lebens mit seinen unaufhebbaren Begrenzungen finden wir unsere Aufgabe. Begrenzung heißt, dass es keinen Fortschritt über das Gegebene hinaus gibt. Die Annahme eines solchen Lebens ohne Perspektive in die Zukunft ist nur möglich, wenn es uns gelingt, dem behinderten Menschen die Wahrheit zu vermitteln, nicht allein zu sein. Allein zu sein bedeutet Verlassenheit und unaufhörliches Sterben vor dem Tod. Ohne sichtbare Zukunft allein zu sein, bedeutet, lebend und sterbend zu verkümmern. Ohne Zukunftsperspektive, jedoch nicht allein, eröffnet die Möglichkeit, in Zuversicht leben und sterben zu können.
Der Wert eines Menschen ist nicht plausibel zu begründen aus seinem Wesen und seinen Qualitäten. Die Geschichte hat bewiesen, dass dies alles ihn weder schützt vor Verachtung noch Vernichtung durch andere Menschen. Nur die Erfahrung, von Menschen unbedingt angenommen zu sein, vermittelt Geborgenheit und Schutz. Die Würde des Menschen lässt sich nicht aus seiner Natur ableiten, sie kommt vielmehr zum Ausdruck im Wissen, angesichts des Todes zu leben. Die Fähigkeit zur existentiellen Annahme seines Lebens wird vermittelt durch die Erfahrung, angenommen worden zu sein. Es macht die Essenz der Geschichte eines Menschenlebens aus, wie darin die Erfahrung der Annahme seines Lebens eingegangen ist. Aus dieser Perspektive verlieren Erfolg und Erfüllung ihre zentralen Bedeutungen, und Akte des Vertrauens und des Dialogs gewinnen Raum.
Betrachten wir aber die verschiedenen Aussagen der Pädagogischen Anthropologie, dann erkennen wir, dass am Ende stets eine imaginäre Grenze gesehen wird, wo der Schwerstbehinderte in den leeren Raum fällt - wenn da nicht jemand ist, der ihm auffängt. Die Pädagogik, in logischer Konsequenz, ist von der Norm fasziniert. Wo immer es eine Normalverteilung gibt, werden Minderheiten zu Außenseitern, und auch letztere strukturieren sich wiederum auf dieselbe Weise wie die Mehrheit. Doch wird uns, wenn wir an die Situation der Schwerbehinderten denken, gerade die Norm der Normalen zur Falle. Was soziologisch von Bedeutung ist, kann aus pädagogischer Sicht nicht genügen. Wie weit ein Durchschnitt allgemeines repräsentiert, ist fragwürdig. Die Frage nach dem Allgemeinen, nach dem allen Menschen Zugrundeliegenden ist viel wichtiger.
Knaus schreibt: "Wir können erkennen, dass es keine Norm des Lebens gibt, keine "richtige" Erziehung, keinen "normalen" Menschen. Wir können einsehen, dass die Bilanz der Lebens nicht aufgeht. Was mit dem Tod endet, kann nicht in Ordnung gebracht werden ... Wahr ist das ganze Leben, nicht die einheitliche Norm."
Unsere Normen von Leistungsfähigkeit, Schönheit und Jugendlichkeit des Körpers sind in ihrer heutigen Übersteigerung wohl auch Ausdruck eines Endes. Es gibt Anzeichen, dass ein Umdenken dringend notwendig wird. Wir könnten versuchen, den Menschen und unser Handeln nicht von den bisherigen Normen her zu begreifen, sondern von "unten" her, von dem, was allen gemeinsam ist. Dann würde der Schwächste und das Geringste zum Ausgangspunkt unseres Denkens und Handelns. Wenn wir nichts voraussetzen, dann können wir alles gewinnen. Eine solche Pädagogik voraussetzungsloser Annahme würde sich nicht an einer Normalverteilungskurve orientieren. Alles, jede Regung, jedes Lachen, jeder Blick wäre von Bedeutung. Wir würden anderen Menschen, und dass heißt auch unseren Schwerbehinderten, nicht die Gleichwertigkeit abzusprechen müssen, um vordergründig unsere eigene Existenz abzusichern. Medizinisch gesehen wäre dann das Minimum: vom Menschen geboren, theologisch: Kind Gottes, philosophisch: gewordene Existenz, biologisch: einer bestimmten Gattung angehörig, soziologisch: als der eine, der Anstoß für andere ist. Aus psychologischer Sicht wäre dann nicht der Intelligenzquotient 100 als Durchschnitt wichtig. Man müsste bei Null beginnen und alles, was darüber ist, als positiv empfinden. (S. Fröhlich)
Das alles mag provokativ oder utopisch klingen. Aber an die Existenz menschlicher Wesen als solches zu glauben, ist Liebe. Der Sinn pädagogischen Handelns bei geistig Schwerbehinderten Menschen besteht für mich aus der Vermittlung von Hoffnung. Die lässt sich weder aus dem Nutzen noch aus einem allfälligen Erfolg ableiten. Sie kann sich nur der Person verpflichtet fühlen. So kann ich konsequenterweise nur die Grenzenlosigkeit meines pädagogischen Handelns fordern.
Ich fühle mich der Hoffnung verpflichtet.